Täglich kommt es auf deutschen Straßen zu Verkehrsunfällen, allerdings entstehen dabei glücklicherweise überwiegend lediglich Sachschäden. Wenn der beauftragte Sachverständige einen wirtschaftlichen Totalschaden bescheinigt, ruft dies bei Geschädigten meist große Verunsicherung hervor. Wir zeigen Ihnen, was Sie in diesem Fall beachten müssen und wann ein wirtschaftlicher Totalschaden dennoch repariert werden kann.
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Was ist ein wirtschaftlicher Totalschaden?
Im Gegensatz zum technischen Totalschaden ist die Reparatur bei einem wirtschaftlichen Totalschaden durchaus möglich. Auch kann das betreffende Fahrzeug durchaus noch fahrtüchtig sein. Vereinfacht ausgedrückt liegt ein wirtschaftlicher Totalschaden vor, wenn die Reparatur zwar möglich, aus wirtschaftlicher Sicht jedoch nicht sinnvoll ist. Nach gängiger Auffassung ist dies der Fall, wenn die kalkulierten Reparaturkosten höher sind als der Wiederbeschaffungsaufwand (WBA).
Der Sachverständige wird ein ausführliches Gutachten erstellen und für die weitere Regulierung sind insbesondere folgende Werte relevant:
Reparaturkosten (netto/brutto)
Wiederbeschaffungswert (WBW)
Restwert (RW)
Wertminderung (WM)
Der Wiederbeschaffungsaufwand (WBA) ist die Differenz zwischen Restwert (RW) und Wiederbeschaffungswert (WBW). Sind die veranschlagten Reparaturkosten höher als der WBA, liegt nach gängiger Meinung ein wirtschaftlicher Totalschaden vor. Diese Auffassung vertritt auch der BGH. Verglichen werden dabei immer die Bruttowerte von Reparaturkosten und Wiederbeschaffungswert (siehe BGH Urteil vom 3.3.2009, VI ZR 100/08).
Beispiel:
Reparaturkosten inkl. MwSt.: 4.000 Euro
Wiederbeschaffungswert: 5.000 Euro
Restwert: 2.500 Euro
Wiederbeschaffungsaufwand: 2.500 Euro
4.000 Euro (RPK) > 2.500 Euro (WBA) = wirtschaftlicher Totalschaden
Daraus ergibt sich ein Wiederbeschaffungsaufwand von 2.500 Euro (5.000 abzüglich 2.500 Euro), somit liegt ein wirtschaftlicher Totalschaden vor.
Was ist der Restwert und wie wird er berechnet?
Die Reparatur bei einem Unfall mit wirtschaftlichem Totalschaden ist zwar möglich jedoch wirtschaftlich nicht sinnvoll
Nach geltendem Recht kann der Geschädigte auf Kosten der gegnerischen Versicherung einen unabhängigen Sachverständigen beauftragen. Im Anschluss an die eingehende Begutachtung wird der Experte ein umfassendes Gutachten erstellen, in dem der Aufwand für die Reparatur, der Nutzungsausfall sowie der Restwert benannt werden. Hinter dem letztgenannten Begriff verbirgt sich der kalkulierte Geldwert des bei dem Unfall beschädigten Fahrzeugs. Dies ist somit der Wert, zu dem das beschädigte Auto noch verkauft werden kann. Der Sachverständige fordert Angebote bei unterschiedlichen Händlern an und in der Regel dient das höchste Gebot als Grundlage zur Ermittlung des Restwerts.
Was passiert mit dem beschädigten Auto?
Wenn das Gutachten erstellt und ein wirtschaftlicher Totalschaden festgestellt wurde, liegt die Entscheidung über das Schicksal des Autos bei Ihnen. Sie können nach Gutachten abrechnen lassen (fiktive Abrechnung), erhalten die Entschädigung und verkaufen das Auto an einen Händler. Alternativ können Sie das Auto anschließend auch selbst reparieren.
Was zahlt die Versicherung bei einem wirtschaftlichen Totalschaden?
Nach den Vorgaben im Verkehrsrecht ist der Schadenverursacher zum Ausgleich verpflichtet und der Geschädigte hat Anspruch auf Schadensersatz. Der Sachverständige sendet das Gutachten an die gegnerische Kfz-Versicherung, anschließend können Sie den Schaden abrechnen lassen. Bei einem wirtschaftlichen Totalschaden zahlt die Versicherung den Wiederbeschaffungsaufwand. Der Restwert (Auto) wird von der Versicherung nicht erstattet, da Sie das beschädigte Fahrzeug zum veranschlagten Restwert an einen Händler verkaufen können. Sie sind dazu berechtigt, den vom Gutachter ermittelten Restwert zur Berechnung des Schadenersatzes anzusetzen und müssen sich nicht auf höhere Angebote von Händlern verweisen lassen, die Ihnen das gegnerische Versicherungsunternehmen nennt (siehe BGH-Urteil vom 6. April 1993, Az. VI ZR 181/92).
Zusätzlich stehen Ihnen weitere Zahlungen zu, beispielsweise der Nutzungsausfall oder alternativ die Kosten für einen Mietwagen. Auch weitere Kosten muss die Versicherung zahlen, dazu zählen beispielsweise Gebühren für die An- und Abmeldung, Abschleppkosten und Entsorgungskosten. Wurden Sie bei dem Unfall verletzt, steht Ihnen möglicherweise ein Schmerzensgeld zu. Für Geschädigte ist es grundsätzlich empfehlenswert, einen Fachanwalt für Verkehrsrecht einzuschalten, die Kosten für den Anwalt werden ebenfalls von der Kfz-Versicherung des Verursachers übernommen. Nicht immer sind Geschädigte damit einverstanden, dass bei einem wirtschaftlichen Totalschaden keine Reparatur des Fahrzeugs erfolgt. Unter bestimmten Voraussetzungen ist die Anwendung der 130-Prozent-Regelung möglich und das Auto kann repariert werden.
Die 130-Prozent-Regelung
Hinsichtlich der Regulierung bei einem wirtschaftlichen Totalschaden kommt es immer wieder zu Streitigkeiten zwischen Versicherung und Anspruchsteller. Wenn das Fahrzeug trotz der Einschätzung des Gutachters repariert werden soll, ist die 130-Prozent-Regelung relevant.
Liegen die Bruttokosten für eine fachgerecht durchgeführte Reparatur im Bereich zwischen 100 und 130 Prozent des Wiederbeschaffungswerts, müssen sie von der Autoversicherung übernommen werden. Dies geht aus einem Urteil des BGH hervor (siehe BGH-Urteil vom 2. Juni 2015, Az. VI ZR 387/14). Bei dieser Berechnung wird der Restwert nicht berücksichtigt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass die Reparatur fachgerecht erfolgt ist und der Geschädigte das Fahrzeug noch mindestens sechs Monate nutzt (siehe BGH-Urteil vom 13. November 2007, Az. VI 89/07).
Beispiel:
Restwert 600 Euro
Wiederbeschaffungswert: 1.600 Euro
Reparaturkosten: 2.000 Euro (125 Prozent des Wiederbeschaffungswerts)
Liegen die Reparaturkosten mehr als 30 Prozent höher als der Wiederbeschaffungswert, gilt die Reparatur als wirtschaftlich unvernünftig und die Versicherung muss die Kosten nicht tragen. In diesem Fall hat der Geschädigte lediglich Anspruch auf den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwertes (siehe BGH-Urteil vom 10. Juli 2007, Az. VI ZR 258/06).
Wann besteht Anspruch auf einen Mietwagen?
Nach einem wirtschaftlichen Totalschadens steht ihnen i.d.R. 14 Tage ein Mietwagen oder Nutzungsausfall zur Verfügung
Als Geschädigter haben Sie für die Zeit der Wiederbeschaffung eines anderen Autos Anspruch auf einen Mietwagen, alternativ können Sie eine Nutzungsausfallentschädigung fordern. Doch wie lange darf der Mietwagen in Anspruch genommen werden? Um diese Frage drehen sich regelmäßig Streitgespräche zwischen Geschädigten und Versicherungsunternehmen. Grundsätzlich sind für die Wiederbeschaffung eines gleichwertigen Gebrauchtwagens nach Ansicht des LG Kiel etwa vierzehn Tage zuzüglich zwei Wochenendtage realistisch. Im Einzelfall können nach Ansicht des Gerichts jedoch kulante Übergangsfristen greifen, im verhandelten Fall wurden dem Geschädigten beispielsweise 27 Tage zugestanden (siehe LG Kiel, Urteil v. 19.07.2013, 13 O 60/12).
Was ist ein unechter Totalschaden?
Ein unechter Totalschaden liegt vor, wenn die Reparatur eines Neuwagens zwar möglich ist, dem Geschädigten jedoch nicht zugemutet werden kann. In diesem Fall würde Ihnen eine Neuwertentschädigung zustehen. Dazu müssen die Schäden so erheblich sein, dass Ihnen selbst nach erfolgter Reparatur der komplette Wiederbeschaffungswert zusteht. Zudem müssen die Reparaturkosten mindestens 30 Prozent des Fahrzeugwertes betragen, damit Sie eine Neuwertentschädigung beanspruchen können. Für die Inanspruchnahme dieser Regelung gelten jedoch strenge Vorgaben. In der Regel ist sie nur bei Fahrzeugen anwendbar, die maximal vier Wochen vor dem Unfall zugelassen wurden und eine Fahrleistung von nicht mehr als 1.000 km aufweisen. Bei höherer Fahrleistung kann pro 1.000 km ein Abschlag zwischen 1 und 1,5 Prozent des Neupreises erfolgen.
Was zahlt die Kaskoversicherung bei wirtschaftlichem Totalschaden?
Die Kaskoversicherung zahlt bei einem wirtschaftlichen Totalschaden lediglich den Wiederbeschaffungswert
Auch die Vollkaskoversicherung zahlt bei einem wirtschaftlichen Totalschaden lediglich den Wiederbeschaffungswertabzüglich Restwert. Bei den meisten Versicherungsunternehmen kann eine Neuwertentschädigungsklausel in den Vertrag eingeschlossen werden. Sie besagt, dass die Versicherung bis zu einem bestimmten Fahrzeugalter den Neupreis erstattet. Welches Fahrzeugalter als Grenze angegeben ist, kann je nach Versicherung variieren, meist ist ein Alter von maximal sechs Monaten üblich. Im Gegensatz zum Haftpflichtschaden findet die 130-Prozent-Regelung in der Kaskoversicherung keine Anwendung. Ob die Versicherung bei einem Kaskoschaden die Kosten für einen Mietwagen übernimmt, hängt von den individuell vereinbarten Konditionen ab.
Wirtschaftlicher Totalschaden bei
Wildunfall:
Kommt es durch einen Wildunfall zum wirtschaftlichen Totalschaden, übernimmt die Teilkaskoversicherung die Regulierung. Erstattet wird in diesem Fall der Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert. Eine vereinbarte Selbstbeteiligung wird ebenfalls abgezogen.
Hagelschaden:
Bei einem Hagelschaden läuft die Regulierung ebenfalls über die Teilkaskoversicherung, hier gelten somit die gleichen Regelungen wie beim Wildunfall.
Leasing-Fahrzeug:
Ein wirtschaftlicher Totalschaden des Leasingfahrzeuges hat in der Regel die sofortige Vertragsauflösung zur Folge. Der Leasinggeber hat ein vertraglich vereinbartes Recht auf Vollamortisation und kann somit die Zahlung der noch ausstehenden Leasingraten verlangen. Die Kfz-Haftpflicht oder die Vollkasko decken diese Forderung jedoch beide nicht ab, hier kann nur eine abgeschlossene GAP-Versicherung (Leasingratenausfallversicherung) einspringen.
Finanziertem Fahrzeug:
Bei einem Haftpflichtschaden ist die gegnerische Versicherung zur Zahlung des Wertverlustes verpflichtet, wenn das beschädigte Fahrzeug nicht älter als fünf Jahre ist und die Fahrleistung weniger als 100.000 km beträgt. Welche Folgen der Schaden für die Finanzierung hat, hängt von der Art der Finanzierung ab. Bei einem klassischen Ratenkredit laufen die Raten einfach weiter, bei einem Autokredit kann es etwas komplizierter werden, da es sich um eine zweckgebundene Finanzierung handelt.
*Hinweis: Die Informationen in diesem Artikel ersetzen keine Rechtsberatung. Bitte konsultieren Sie für eine rechtlich bindende Beratung einen Rechtsanwalt für Verkehrsrecht.
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